Allrad mit (einfacher) Geländegängigkeit

Ein sehr kontroverses Thema. Das gibt immer Diskussionen. „Wozu brauchst Du denn Allrad?“ ist so ziemlich die häufigste Frage. Ich antworte dann immer: „Was ist schon brauchen?“

Hier stellt sich erstmal die Frage: wohin will ich eigentlich damit?

Ich denke mal die nächsten 10 Jahre werde ich nicht in der Lage sein, längere Touren außerhalb Europas zu fahren. Also eine Afrika-Durchquerung wird es sicher nicht. Marokko, Osteuropa, Island. Und auch in Norwegen gab es tolle einsame Strandplätze, die ich mich einfach nicht zu fahren getraut habe. Also ein Allrad, etwas höhergelegt, Untersetzung für langsames Fahren, für leichtes Gelände oder schlechte Untergründe … das sollte ausreichen.

Welche Fahrzeuge kommen da dann überhaupt in Frage?

VW Crafter / MAN TGE

Also gleich durchs Raster gefallen ist die VW-Basis. Leider gibt es nur noch hochgezüchtete 2-Liter-Motoren, von denen ich persönlich überhaupt nichts halte. Diese Meinung mag inkorrekt sein, subjektiv ist sie auf jeden Fall, aber es ist halt meine Meinung. Weiterhin ist der Werksallrad ein 4Motion ohne manuelle Eingriffmöglichkeiten. Sicher nett, um etwas sicherer auf einer teilverscheiten Straße zu fahren, aber nicht das Gelbe vom Ei.

Ford Transit 4×4

Ford mag ich nicht. Das ist ein Grund. Und, soweit ich gesehen habe, gibt es Allradantrieb und Automatik nicht in Kombination und auch keine Untersetzung.

Iveco Daily

Das wäre sicher ein Traum, echter Permanent-Allrad mit guter Untersetzung und mehreren Sperren, auch im Militärbereich eingesetzt …. Ja nun, die ideale Basis eigentlich. Vielleicht abgesehen von einigen Komfortfunktionen.
Doch nun zu den Nachteilen … einerseits ist der Daily massiv teurer als der Sprinter, ebenso im Unterhalt (auch durch den Permanentallrad), und man braucht für die Kabinenmontage einen Hilfsrahmen. Das bedeutet Mehrkosten und Mehrgewicht.

Zudem war er zum Entscheidungspunkt Ende 2019 nicht bestellbar. Man hat mir den April 2020 als frühest möglichen Bestelltermin genannt, zuzüglich der dann resultierenden Lieferzeit. Insofern ist er für dieses Projekt erstmal raus.

Mercedes Sprinter 4×4

Bleibt dann noch der Sprinter. Den gibt es als Werksallrad, die günstigste Variante, auch wenn die schon einen happigen Aufpreis bedeutet. Mercedes spricht hier aber von „Zwar ist der Sprinter 4×4 kein Offroader, […] nähert er sich jedoch mit seinen Eigenschaften bereits Geländewagen.“

Jetzt kommen drei Aspekte ins Spiel. Fähigkeiten des Werksallrad, Kosten und geplantes Reiseverhalten.

Fähigkeiten des Werksallrad

Diesen Punkt werde ich natürlich im Laufe der Zeit ergänzen, da meine Überlegungen hier gänzlich theoretischer Natur sind.

Der Mercedes Werksallrad ist eher ein Schlechtwegeallrad als ein Geländewerkzeug. Es wird oft gelästert, ich denke aber, so schlecht ist er gar nicht. Erste Voraussetzung fürs Gelände ist schonmal da: der 4×4 ist vorne 11cm und  hinten 8cm höhergelegt.

Der Allrad wird von Oberaigner ans Band nach Ludwigsfelde geliefert, ein Zuschaltallrad ohne Differentialsperre. Das macht die Elektronik 4ETS. Sprich Bremseingriff ohne manuelle Kontrollmöglichkeit. In Videos sieht man, daß es eine Weile dauert, bis das durchdrehende Rad gebremst wird, außerdem ist dafür viel Motorleistung nötig.

Für ausreichend Motorleistung würde ich auf jeden Fall den 6-Zylinder 3-Liter OM642 nehmen. Die Verzögerung des Bremseingriffs ist zum offroaden aber das größte Problem. Mit dem Jimny und Sperre konnte ich eine matschige Strecke einfach durchpflügen, bleibt man da stehen, kommt man nicht mehr weiter. Wie sich das beim Sprinter verhält, werde ich im Offroad-Park austesten. Die fehlende Sperre wäre daher mein größter Kritikpunkt.

Weiteres Problem des Werksallrad ist das Untersetzungsverhältnis im Low-Gang. Auch hier wurde zu sehr an Straßen gedacht, 1:1,4 ist nicht wirklich geländetauglich. Sicher super, um Passstraßen zu fahren, für einen grobsteinigen Weg aber vielleicht zu schnell. Vielleicht hilft mir hier aber die Automatik noch, zudem der erste Gang sehr kurz übersetzt ist. Beim Schalter müßte man da zu viel Kupplung verheizen. Der Daily 4×4 dagegen hätte die passende 1:3,115, ebenso ein Heckantrieb-Umbau z.B. von Iglhaut. Zudem ist die Kraftverteilung nicht wie z.B. beim Iglhaut Umbau 50:50, sondern 35:65, ob das allerdings in der Praxis ein Problem ist, kann ich noch nicht beurteilen. Ich will den jetzt auch nicht schlecht reden. Ich bin mir sicher, daß auch mit dem Werksallrad sehr viel geht.

Ich habe das beim Suzuki Jimny erlebt. Der erste Geländeausflug war im Auslieferzustand: Straßenbereifung, keine Sperre, keine Höherlegung. Wir waren in einer Gruppe mit anderen Jimnys, ich war erstaunt, was bereits so schon möglich war. Da ich meinen Jimny nach und nach umgebaut habe, kann ich zumindest für dieses Fahrzeuggröße recht genau einschätzen, was die einzelnen Maßnahmen bringen: Höherlegung, Offroad-Reifen, Hinterachs-Sperre. Sicher ist das nicht 1:1 auf den Sprinter übertragbar, aber ich bin optimistisch. Der Jimny hatte übrigens keine bremsenden Helferlein, d.h. hier war dann wirklich Ende, wenn ein Rad durchgedreht hat.

Es gibt etliche Reiseberichte, die dem Werksallrad eine gute Performancenote geben. Zum Beipspiel hier im womobox-Forum im Beitrag #23, „… er kann sogar in Island sehr viel. Auch die Wattiefe ist gut genug.“ und über das 4ETS wird da geschrieben „Da hatte ich anfangs Bedenken, funktioniert aber in der Praxis echt super.“

Ich würde für mich das so zusammenfassen: der Werksallrad erfüllt meine theoretischen Anforderungen erstmal, zudem kann man zumindest Kleinigkeiten wie eine Hinterachs-Sperre noch nachträglich realisieren.

Und das ist dann der Punkt Kosten.

Auch wenn der Werksallrad schonmal mit knapp 12.000 Euro reinhaut, ein Umbau bei einem der Spezialisten ist mindestens doppelt so teuer. Und ist dann auch ein Permanentallrad, der dauerhaft höheren Verbrauch und Verschleiß bedeutet.

Zum geplanten Reiseverhalten habe ich oben ja schon etwas gesagt, vermutlich würde für 99 Prozent der Einsätze auch eine gute Bereifung schon ausreichen. Aber wenn ich also bei so einer Tour 9000 Kilometer auf befestigten Straßen fahre, aber auch nur einen wunderschönen Platz nutze, den ich anders nicht genommen hätte, loht es sich für mich schon. Das ist letztendlich auch ein Argument gegen den Daily mit Permanent-Allrad und vermutlich spürbar höherem Verbrauch. Wenn ich später mal andere Regionen erkunden möchte, müßte man das neu bewerten.

Übrigens ist eben dieser Werksallrad jetzt wohl leider Geschichte: laut Gerüchten aus dem Sprinter-Forum wird er eingestellt und zum aktuellen Zeitpunkt ist er auch nicht mehr im Mercedes-Konfigurator. Für Großkunden, z.B. Wohnmobilhersteller, will Mercedes sein 4MATIC anbieten, ähnlich dem VW-System aber ohne weitere Offroad-Fähigkeiten wie Untersetzung oder Höherlegung.

Nun aber das Schlusswort für alle „braucht-man-nicht“-Kritiker:
Ich hätte es gerne. Punkt.